Die SPD-Fraktion beantragt für die nächste Sitzung des Hauptausschusses die Beratung und Abstimmung über folgenden Beschluss:
- Die Verwaltung richtet ein Abwassermonitoring auf SARS-CoV-2-Viren ein.
- Die Verwaltung prüft realisierbare Ansätze zur dezentralen Probenahme mit dem Ziel einer Eingrenzung des Infektionsgeschehens.
- Der Stadtrat wird regelmäßig über die Ergebnisse des Monitorings informiert.
Begründung:
SARS-CoV-2 verbreitet sich vorrangig über Tröpfcheninfektion. Wenn SARS-CoV-2-Infizierte das Virus über den Stuhl ausscheiden, gelangt es ins Abwasser. In flüssigen und festen Abwasseranteilen kann anschließend spezifische Virus-RNA nachgewiesen werden. Das Virus übersteht zwar den menschlichen Ausscheidungsprozess nicht, aber genetische Sequenzen sind dennoch nachweisbar. Die Belastung des Abwassers korreliert dabei mit der Zahl der COVID-19-Fälle im jeweiligen Einzugsgebiet.
Den Nachweis in Abwasser- und Schlammproben machen sich mittlerweile mehrere Forscher*innen (z. B. des Leipzig Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden sowie der Fachbereich Abwasserwirtschaft der Technischen Universität Darmstadt (Professorin Lackner)) zunutze und untersuchen das Abwasser, um regionale Infektionsgeschehen zu beobachten und ggf. auch als Frühwarnsystem für lokale Ausbrüche zu nutzen. Die Testungen lassen sich gut durchführen und sind anonym, da keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen gezogen werden können. Ein bundesweites Abwassermonitoring könnte lokale Ausbrüche frühzeitig erkennen und helfen, neue Infektionswellen zu verhindern. Die beteiligten Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass dafür schon eine tägliche Auswertung von Proben aus 900 Kläranlagen ausreichen würde, um einen Großteil der deutschen Bevölkerung zu erfassen.Wesentliche Vorteile einer Ergänzung der PCR-basierten Erfassung der Gesamtinfektionslage durch ein zentrales Abwassermonitoring könnten sein:
- Geringerer Zeitverzug der Messung: Individualtests (PCR, Antigen) werden oftmals erst dann durchgeführt, wenn bereits Symptome vorliegen. Bis die Testergebnisse vorliegen sind somit oft 7-10 Tage zwischen Infektion und Messergebnis vergangen. Dahingegen werden bereits kurz nach Infektion zunehmende Mengen Virus ins Abwasser ausgeschieden, was die Messungen des Zeitverlaufes der relativen städtischen Gesamtviruslast unmittelbar beeinflusst. Ein ansteigendes bzw. fallendes Infektionsgeschehen würde also im Zeitverlauf deutlich früher messbar werden.
- Aufhellung der Dunkelziffer: Verändert sich bei Individualtests (PCR, Antigen) die Teststrategie (z. B. Anzahl verfügbarer Tests; asymptomatische vs. nur symptomatische Testungen; neue Testarten), so verändert sich hierdurch der Anteil nicht erfasster Infektionen (Dunkelziffer). Da die Messergebnisse aus dem Abwassermonitoring die gesamte Bevölkerung umfassen können und somit von Veränderungen der Teststrategie nicht beeinflusst werden, können diese Daten helfen, das Gesamtinfektionsgeschehen besser abzuschätzen.
- Frühnachweis von Virusmutanten: Es besteht die Hoffnung, über das genetische Material im Abwasser auch das Vorhandensein und möglicherweise den Anteil von Virusmutanten frühzeitig nachweisen zu können.
Während diese Vorteile mit einer zentralisierten Probenentnahme erreichbar sein könnten, könnte in einer weiteren Ausbaustufe eine dezentralen Probenentnahme in Abwassersielen oder vor besonders gefährdeten Einrichtungen möglicherweise helfen, einzelne Infektionen besser eingrenzen zu können. Dies würde es nach der Eingrenzung ermöglichen, die betroffene Einrichtung mit Individual-PCR-Massentests durchzutesten und die Infektion aufzuspüren. Diese zusätzliche Ausbaustufe könnte vor allem dann sinnvoll sein, wenn es bei sehr niedrigem Infektionsniveau darum geht, die letzten Infektionen auszurotten.
Als besonders hilfreich könnte sich ein solches Abwassermonitoring erweisen, wenn man schrittweise Beschränkungen zurücknehmen will, aber dabei gleichzeitig darauf achten muss, das Infektionsgeschehen nicht wieder außer Kontrolle geraten zu lassen. Sichere Lockerungen könnten so schneller und mit kontrolliertem Risiko vorgenommen werden.
Hilfreich könnte die (ggf. dauerhafte) Etablierung einer solchen Messmethodik auch als Vorbereitung auf zukünftige Pandemien sein. Die jetzige Situation bietet die Möglichkeit, Messergebnisse aus dem Abwassermonitoring mit den vorliegenden Ergebnissen der PCR-Individualtests zu vergleichen und die Messmethoden so zu kalibrieren. Nach Beendigung der Corona-Pandemie würden diese Daten nicht mehr erhebbar sein und eine Verfeinerung und Kalibrierung der Messmethoden wäre nicht mehr ohne weiteres möglich.
Bei der Etablierung eines Abwassermonitorings sollten möglichst die ortansässigen Labore eingebunden werden.